In Deutschland wird über die Bewältigung der Klimakrise debattiert. Abseits der "grünen" Technologie existiert ein alternativer Ansatz: drastische Reduzierung. Wie könnte dies umgesetzt werden? Der Ökonom Nico Paech fordert zum Systemwechsel auf und geht dabei selbst mit gutem Vorbild voran.
Um den Klimawandel zu bewältigen, gibt es zwei Hauptstrategien. Erstens, vollständig auf erneuerbare Energien umzusteigen, Wärmepumpen und Infrarotheizungen zu installieren, Windkraftanlagen zu errichten, Wasserstoff zu unterstützen, Gebäude energetisch zu modernisieren, und so weiter. Die Ampel-Koalition, bestehend aus SPD, Grünen und FDP, stimmt diesem Ansatz grundsätzlich zu, obwohl es derzeit Meinungsverschiedenheiten gibt. Dennoch sind alle drei Parteien der Ansicht, dass Innovationen und fortschrittliche Technologien die Erderwärmung verlangsamen und die negativen Auswirkungen auf den Wohlstand begrenzen werden.
Es existiert jedoch auch eine alternative Gruppierung, zu der Niko Paech, ein Ökonom an der Universität Siegen, zählt. Er unterstützt die Idee der Postwachstumsökonomie, einem Wirtschaftsansatz, der sich von der Vorherrschaft des Wachstums befreien möchte. Seine Theorien stoßen auf heftige Kritik, da sie die Grundlagen der Wirtschaftstheorie in Frage stellen. Gemäß dieser Theorie ist Wachstum unverzichtbar – das wird auch in der Präambel des Koalitionsvertrages betont. Trotz der Klimakrise, so die Argumentation, muss die Wirtschaft weiterhin florieren. Die Kritiker des Wachstums hingegen stellen diese Ansicht in Frage. Ihrer Meinung nach wäre eine schrumpfende Wirtschaft die effektivste Lösung, um die globale Erwärmung zu stoppen. Schließlich entsteht kein CO2, wenn nichts fährt, raucht oder dampft. Sie befürworten Reparaturen statt Neukäufe, Urlaub an der Nordsee anstelle von Fernreisen in die Karibik und Teilen statt individuellem Besitz.
Eine Welt, die offenbar immer mehr Menschen fasziniert, offenbart sich. Ulrike Herrmanns Buch, in welchem sie die Kernideen einer schrumpfenden Wirtschaftsgesellschaft darlegt, erfreut sich seit Monaten großer Beliebtheit und führt die Bestsellerliste im Bereich Wirtschaftsbücher an. Hat die Journalistin einen wunden Punkt getroffen? Der Ökonom Paech bringt Klarheit: "Die Wirtschaft muss nicht aus dem Grund wachsen, dass ansonsten eine Produktknappheit entsteht. Sie muss wachsen, um den Menschen das Einkommen für ihre steigenden Bedürfnisse zu ermöglichen." Seine Konsequenz daraus: "Wir müssen drastisch reduzieren."
In Anbetracht von Wirtschaftskrisen, Inflation und einer schwindenden Mittelschicht mag die Idee des Reduzierens utopisch erscheinen. Allerdings hängt es davon ab, wie man es betrachtet, erklärt Paech. „Wenn man es global und historisch betrachtet, sind fast alle Deutschen, bis auf wenige Ausnahmen, wohlhabend. Wir messen Armut stets im relativen Sinne, das heißt: Wie viel besitzt eine Person im Vergleich zu einem durchschnittlichen Referenzwert? Absolut gesehen stellt sich die Situation jedoch anders dar. Heutzutage bezeichnen wir Menschen als arm, obwohl sie weitaus mobiler und technisch besser ausgerüstet sind als Reiche in den 1970er Jahren. Man kann in absoluten Werten immer reicher werden – und dennoch statistisch als relativ arm eingestuft werden.“
Wenn es kein Wachstum gibt, sind Arbeitsplätze gefährdet, und Massenarbeitslosigkeit könnte folgen. Paech schlägt eine 20-Stunden-Arbeitswoche als Lösung vor. Er argumentiert, dass dies unvermeidlich sein wird, da ChatGPT und Industrie 4.0 das Potenzial für enorme Produktivitätssteigerungen in den kommenden Jahren aufzeigen. Daher wäre es besser, die Arbeitszeitverkürzung jetzt einzuführen, während der Übergang noch kontrollierbar ist.
Die Energiewende verspricht, erneuerbare Energien voranzutreiben und gleichzeitig das Wirtschaftswachstum zu fördern. Ein aktuelles Beispiel hierfür ist die geplante Einführung von Infrarotheizungen und Wärmepumpen in deutschen Haushalten ab 2024, die durch das Verbot von Öl- und Gasheizungen begünstigt wird. Diese Maßnahme soll den Ausstieg aus fossilen Energien unterstützen und gleichzeitig die Wirtschaft ankurbeln. Allerdings hat Paech eine andere Sichtweise: Er argumentiert, dass die klimafreundlichen Aspekte von Wärmepumpen durch den Ressourcenverbrauch, die Produktion, den Transport und den Flächenverbrauch in der Herstellung negiert werden. Grünes Wachstum hält er für eine Illusion, da in den letzten 200 Jahren alle Innovationen, auch die meisten grünen, ökologisch gesehen negative Auswirkungen hatten. Insofern punktet die Infrarotwärme mit deutlich weniger grauer Energie gegenüber der Wärmepumpe. Damit ist sie die ökologisch bessere Alternative.
Nicht jeder versteht, warum Wirtschaftswachstum unbedingt notwendig ist. Man könnte denken, dass jemand, der eine Konditorei betreibt und täglich 4 Torten verkauft, nicht wachsen muss. Er könnte einfach konstant 4 Torten backen und alle wären glücklich. Dies ist jedoch ein Irrglaube, wie Paech erklärt. Er führt aus, dass die meisten Unternehmen nicht nur durch Eigenkapital, sondern auch durch Kredite und Aktien finanziert werden. Kapital erhält nur, wer in der Lage ist, Zinsen zurückzuzahlen oder angemessene Renditen zu versprechen. Um ein Zusammenbrechen des Gesamtsystems zu verhindern, muss die Wirtschaft mindestens in diesem Maße wachsen. Hinzu kommen Wettbewerbsverhältnisse. Paech erläutert, dass meist Unternehmen erfolgreich sind, die kostengünstig produzieren. Um dies zu erreichen, ist es notwendig, Größenvorteile zu nutzen und die Produktionskapazität auszuweiten, was wiederum zu stetigem Wachstum führt.
Das Wachstumsphänomen betrifft nicht nur die Angebotsseite. Die Nachfrageseite, sprich die Verbraucher, leistet ebenfalls einen Beitrag dazu, dass Wachstum als höchstes Ziel angesehen wird. Ständig mehr, schneller und besser. "Kreuzfahrten, Fernreisen, große Autos und zunehmend mehr Eigenheime werden als normal angesehen. Doch angesichts der ökologischen Lage und des bereits erreichten Wohlstands ist dieses Wachstum eine dekadente Fehlentwicklung", meint Paech. "Ist es notwendig, dass Kinder derart viel Spielzeug besitzen? Brauchen wir so viele Kleidungsstücke? Warum teilen sich nicht mehrere Personen Bohrmaschine, Rasenmäher und andere Geräte? Solche Fragen müssen wir in Betracht ziehen."
Volker Quaschning, ein Professor für erneuerbare Energien, betrachtet die Diskussion aus der Perspektive eines Ingenieurs und nicht als Volkswirt. Er sieht die Wegwerf- und Konsumgesellschaft als Hauptgrund für die aktuelle Situation. Dennoch ist er nicht vollständig überzeugt, dass Schrumpfung die Lösung ist, da dies beispielsweise zu einer Verringerung des Wohnraums pro Kopf führen würde, obwohl Wohnungen bereits knapp sind. Quaschning befürchtet, dass für diese Idee in den nächsten zehn Jahren keine Mehrheit gefunden wird, und das ist die Frist, die uns bleibt.
In der Zwischenzeit versucht der Ökonom Paech, bei sich selbst anzufangen. Kürzlich fand er in der IT-Abteilung seiner Universität ein als unbrauchbar eingestuftes Notebook. Man sagte ihm, er könne kein Windows darauf installieren, und das Gerät sei bereits zehn Jahre alt. Der Mitarbeiter empfahl ihm, ein neues Gerät zu kaufen. Trotzdem nahm Paech das Notebook mit nach Hause, installierte ein freies Betriebssystem darauf. Seitdem funktioniert es einwandfrei.